Der Weg ist das Ziel - nur steht das Ziel manchmal im Weg

"Mein Pferd soll mehr Vorwärts gehen, der ist so triebig"
"Die Hinterhand muss aktiver werden."
"Der liegt immer so schwer auf der Hand, ich will, dass er feiner wird im Maul."
"Mein Pferd soll mir vertrauen""
Wie oft haben wir solche Ziele oder Wünsche an unser Pferd und unser ganzer Fokus liegt ganz darauf, endlich die Hinterhand zu aktivieren, das Pferd mehr zu treiben, die Gebisse zu wechseln um endlich eins zu finden, mit dem es leicht geht, oder sonstige zielorientierte Maßnahmen.

Zu wissen, wo man hin will, ist eine wunderbare Sache. Doch wenn man nur das Endziel fokussiert, er-kennt man den Weg oft nicht.
Es ist, wie wenn man ein ZIel ins Navi eingibt und das sagt einem brav, wohin man wann fahren muss, und man er-wartet anzukommen, ohne den Weg zu beachten. 
Eine tolle Sache beim Autofahren, die oft ebenso gut in einer Reitstunde passiert.
Schwierig wird es, wenn man noch mal dahin will, und diesmal das Navi ausfällt, bzw. der Reitlehrer nicht da ist. Denn man kennt den Weg nicht.

Darum steht das Ziel manchmal im Weg. 
Wenn man sich früher auf den Weg machte, hat man in der Karte geschaut, hat sich viele Orientierungspunkte gesucht: Infoschilder, Merkmale, Reisedauer und vieles mehr. Oft hat man sich auch Notizen gemacht, damit man unterwegs noch mal schauen konnte, ob man noch richtig ist, oder irgendwo falsch abgebogen ist. Und wenn es doch mal geschah, dann griff man zur Karte und hat die "Route neu berechnet" :-) 
Wenn man sich "völlig verfahren" hatte, fragte man jemand. Der konnte einem vielleicht nicht gerade sagen, wie man von München nach Rom kommt, doch für das nächste Teilstück der Strecke war er eine große Hilfe und wenn man wieder auf der Route war, die man gewählt hatte, kam man auch wieder selbständig weiter.

Ähnlich ist es mit unseren Zielen beim Reiten, bei unserm Pferd.
Wenn ich etwas erreichen möchte ist es gut, darüber nachzudenken, was mein Pferd braucht, um dieses Ziel mit mir zu erreichen.
Wenn man also ein Pferd hat, dass triebig ist, hat man sich wohl irgendwann auf dem Weg "verfahren".
Dann schaue ich mir die "Karte" an. 
Sind die Voraussetzungen erfüllt: Passt der Sattel, so dass mein Pferd schmerzfrei seinen Rücken aufwölben kann und das Schulterblatt, so wie die Wirbelsäule, frei von Druck sind? Hat das Pferd die treibende Hilfe auch als solche verstanden? Ist es, angemessen an meine Leistungswünsche, mit entsprechendem Futter versorgt? Ist sein Atem fliesend und seine Muskulatur locker? Ist die Hufstellung korrekt und die Zähne (Alle, auch die Schneidezähne und die hinteren Backenzähne) von einem guten Zahnarzt behandelt. Sitze ich so locker und beweglich, dass mein Pferd sich mit mir bewegen kann? Bleibt mein Rücken aufrecht und meine Hüftgelenke frei, wenn ich treibe? Bleibt meine Hand vorne und nachgebend, statt rückwärts zu wirken, während ich treibe?

Oft treibt man "mit aller Kraft" doch dabei wirkt die Hand rückwärts, der Sitz wird schiebend, der Oberkörper neigt sich nach hinten, die Beine und Hüftgelenke werden fest, man hört auf zu Atmen und das blockiert sehr viele Muskeln. Der Bauch spannt sich an und durch all das drückt der Sattel dann oft auch noch mehr auf die Schulter oder auch hinten. So führt der Weg eher weg vom Ziel. 
Man fährt mit Vollgass .... in die falsche Richtung.
Wenn man sich so verfahren hat, wird auch das Pferd depressiv, da es keine Ahnung hat, wo die Reise eigentlich hin gehen soll. Seine Unlust ist die Nachricht: "Bitte wenden - Route neu berechnen" oder nach alter Manier "Frag doch bitte mal Jemand nach dem Weg, der sich damit auskennt."

Und so ist es bei all den Zielen, die man sich setzt. 
Es ist gut zu wissen, wie es aussehen wird, sich anfühlen wird, den Rhythmus zu hören und das Glück dabei zu empfinden, wenn man es erreicht hat.
Doch ebenso wichtig ist es, immer mal zu schauen, wo man gerade ist, und ob man sich vielleicht eher auf einem holprigen Feldweg voller Löcher befindet, die einem ins Kreuz schlagen oder gar in einer Sackgasse, satt auf der malerischen Strasse, die man eigentlich genussvoll und schonend für die Stoßdämpfer des Autos fahren wollte.

Genießt euer Pferd
Anke Recktenwald