Der Unterschied zwischen dem Halsring und dem Balancezügel

Der Unterschied zwischen dem Halsring und dem Balancezügel
Mit der richtigen Vorbereitung ist Halsringreiten Kinderleicht
Gleich, ähnlich, anders?
Balancezügel und Halsring im Vergleich von Anke Recktenwald, Feldenkrais Pädagogin, Tellington Lehrer Level 3, Centered Riding Instructor, Pferdewirtschaftsmeisterin für den Tellington Newsletter

Beide wirken auf den Hals des Pferdes ein statt auf den Kopf. Man kann sie mit einer Hand oder zwei Händen führen und beide helfen, die Balance zu verbessern. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon so ziemlich auf.

Immer wieder stelle ich fest, dass viele denken, ein Halsring und ein Balancezügel seien das gleiche - das eine weich, das andere hart, doch die Wirkung und der Einsatz seien grund- sätzlich das gleiche. Darum habe ich bei meinen Tellington Lehrer KollegInnen herum gefragt, ob sie beides nutzen und auf welche Art und zu welchem Zweck. Im Folgenden einige Antworten und meine Ergänzungen.
Fast immer dabei ■ Beate Meyer: Meine Pferde haben den Balancezügel zu 95% als Standardausrüstung drauf. Wir brauchen ihn nicht immer, manchmal setzen die Reitschüler den Hinweis „Nimm den Balancezügel dazu!“ auch nicht jedes Mal um, aber die meisten erkennen den Wert sehr schnell. Wenn man ihn nicht braucht, hängt er gut und stört nicht, bei Bedarf ist er schnell aufgenommen. Wie der Name schon sagt: er verbessert die Balance - und zwar bei Pferd und Reiter. Für das Pferd vereinfacht er das Durchparieren und Anhalten, die Übergänge, das Halten eines gleichmäßigen Tempos (v.a. bei Pferden, die noch Tempo brauchen und einen langen Hals im Trab oder Galopp, weil sie sich noch nicht versammeln können), das Rückwärtsrichten, Halbe Schritte, durchs Labyrinth u.ä. er vereinfacht das Reiten, das Bergab Reiten und er fördert eine schöne Haltung bei all diesen Übungen. Für den Reiter, und das ist mir genauso wichtig, bleiben die Hände der Reiter ungefähr da, wo sie hingehören, der Balancezügel gibt auch den Reitern Stabilität im Sitz und führt dazu, dass die fast überall gelehrte „Rücklage“ sich schneller verflüchtigt. Die Pferde haben mehr Ruhe auf der Nase bzw. im Maul, der Druck vom Zügel wird deutlich reduziert, die Signale vom Zügel werden feiner, das Geruckel weniger, der Reitersitz unabhängiger, das Festhalten am Zügel hört auf. Für Jungpferde ist er ein absolutes Muss! Ich möchte nie wieder ein Pferd ohne dieses Magic-Tool anreiten!
Für Viel-Ausreiter wie wir allerdings eine klitzekleine Warnung: Mir ist es in ca. 15 Jahren, in denen meine Pferde meistens mit Balancezügel unterwegs sind, 3x passiert, dass ein Pferd im Sommer nach einer Bremse geschnappt hat und sich im Ba- lancezügel verfangen hat. Beim Reiten mit Halsring ohne Kopfstück werden Pferd und Reiter unabhängig vom Zügel, ein ungeheures Erfolgserlebnis, das gigantisch Spaß macht und das Selbstvertrauen steigert - wiederum bei Reiter und Pferd. Die Balance von beiden wird enorm verbessert, es gibt ein ganz neues Verständnis darüber, was es bedeutet, ein Pferd aus dem Sitz, aus der Körpermitte zu steuern und zu reiten. Das Pferd wird locker, lernt Selbstkontrolle und sich selbst tragen. Der Reiter lernt loslassen, das Pferd nicht mit dem Zügel stützen - oft sind das Gewohnheiten, die gar nicht mehr bemerkt werden, weil sie so vertraut sind - und so führt das automatisch zu mehr Losgelassenheit beim Pferd. Das Reiten mit Halsring und ohne Kopfstück ist eine großartige Vertrauens- übung, der Reiter gibt mit dem Zügel ein Stück der vermeint- lichen Kontrolle ab, auch das Pferd muss seinem Menschen vertrauen, der nun andere Signale benutzt. Die mentale Bindung wird dadurch automatisch gestärkt, die Konzentration von bei- den enorm gesteigert. Zusätzlich zur Zäumung eingesetzt, kann man mit dem Halsring effektiv die Biegungen unterstützen, dito Seitengänge und Tölt.
Einen Nachteile vom Halsring sehe ich darin, dass man ihn in der Hand behalten muss, da er sonst baumelt oder bei tiefer Kopfhaltung des Pferdes hinter die Ohren (und damit oft außer Reichweite der Hand) verschwindet, wenn man ihn nicht am Sattel „anbindet“.
Beim Tellington Basic Siber Abzeichen gehört Halsringreiten dazu.
Der Halsring stärkt das Vertrauen in die Pferd / Reiter Beziehung. Wo Kraft nicht wirkt, zeigt sich der tiefe Wunsch unserer Pferde, uns glücklich zu machen im gemeinsamen Erreichen der Ziele. Fotos: Anke Recktenwald


Zum Führen „zweckentfremdet“ ■ Phili Hämer-Siedhoff: Mit „meinen“ Kindern habe ich ein Spiel entwickelt, das alle begeistert und auch den Pferden gut bekommt: das Führen des Pferdes mit dem Halsring. Vielen Kindern fällt es recht schwer, nicht mit der Hand am Führseil zu hängen oder nicht zu ziehen. Legen wir den Halsring um den Hals des Pferdes und stellen uns ein „Kraftfeld „ im Innern des Rings vor, dann können fast alle plötzlich das Pferd wie von Zauberhand führen, ohne es zu berühren, da sie nun gezwungen sind, ihre Körperposition und Ausrichtung des Körpers automatisch einzusetzen. Für die Kinder ein tolles Erlebnis, wenn sie das Pferd, ohne es zu berühren, führen können. Für traumatisierte Pferde
■ Marlies Bulter: Ich verwende den Halsring gerne bei Pferden, die durch unsensibles (An-)Reiten traumatisiert sind. Ich habe, vor Jahren einen jungen, importierten, rohen Andalusier angeritten, der sich anfangs gar nicht anfassen ließ. Als ich das erste Mal mit Sattel und Lindel und der Besitzerin als Führerin aufgesessen bin, buckelte er sofort los und ich bin abgesprungen. Danach bin ich einige Ausbildungs-Schritte zurückgegangen. Während einer der vielen TTouch-Behandlungen habe ich entdeckt, dass bei ihm Anreit-Erfahrungen hochkamen. Daraufhin habe ich ihn am Boden an den Halsring gewöhnt und beim nächsten Aufsitzen waren wir nur mit dem Halsring am Kopf unterwegs. Er war völlig ruhig und entspannt. Von da an konnte ich ihn bald schon mit Zügeln reiten. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man einen guten Kontakt zu seiner Intuition und zum Pferd hat. Zur Wirkung des Balancezügels
■ Anke Recktenwald: Aus meiner eigenen Praxis möchte ich noch hinzufügen, dass der Balancezügel immer als „Hilfszügel“ verwendet wird, nicht allein. Er liegt an der Halsbasis und bewirkt bei einem Annehmen und Nachgeben durch die Reiterhand, dass sich die untere Halsmuskulatur abspannt, der Rückenmuskel sich verlängert, das Pferd sich nach hinten ausbalanciert und so die Vorhand besser heben kann. Er ist für mich auch ein unerlässliches Mittel zum Anreiten junger Pferde und zur Korrektur von Maul- oder Genickproblemen, Unterhals, verspanntem Rücken und Durchgängern. Das Gewicht verlagern oder Anhalten und auch Rückwärtsrichten kann damit dem Pferd viel besser „erklärt“ werden und lässt es das Ganze in einer gesundheitsfördernden Haltung ausführen. Unruhige Reiterhände werden dadurch stabiler. Hier gilt es darauf zu achten, dass die Reiter nicht beginnen, sich am Balancezügel festzuhalten. Denn auch wenn das sich auf das Pferd nicht so negativ auswirkt wie ein Festhalten am Zügel, so „lernt“ der Schüler doch, sich mit den Händen festzuhalten und sich dadurch auszubalancieren, was er dann auch am Zügel immer wieder tun wird. Oder er muss später neu lernen, sich anders auszubalancieren und die Hände nicht zum Fest- halten zu nutzen. Hält der Reiter sich am Balancezügel fest, wird auch das Pferd weniger fein auf diese Hilfe reagieren, wenn es den Reiter immer wieder „halten“ muss. Der Balancezügel wird in Anlehnung geritten und mit Annehmen und Nachgeben dosiert. Man kann so wunderbar ein Pferd, das gerade die Dehnungshaltung findet, und dabei auf die Vor- hand kommt, wieder ausbalancieren ohne auf den Kopf einzuwirken, oder einen Durchgänger, der gelernt hat gegen das Gebiss zu kämpfen, mit einer völlig neuen Einwirkung, die nicht mit Stress und Schmerz besetzt ist, überraschen. Ich übe gern die Gewichtsverlagerung und das Loslassen der Hals- und Rückenmuskulatur der Pferde mit dem Balancezügel am Boden - erst ohne Sattel, dann mit, dann unterm Reiter. So lernt das Pferd schneller, wie es den Effekt in seinem Körper umsetzten kann und die Reiter sehen, was der Balancezügel bewirkt. Auch Rückwärtsrichten lässt sich so wunderbar vom Boden aufbauen Die Wirkung des Balancezügel kann man sehr gut am ungesat- telten Pferd sehen und auch da schon mal üben. Mit leichtem Annehmen und sanftem Nachgeben kann das Pferd leicht lernen, sein Gewicht vor zu verlagern, den Hals noch einfacher abzuspannen und den Rücken loszulassen. Fotos:Anke Recktenwald
Um den Tölt zu unterstützen ist der Balancezügel ein hervorragendes HIlfsmittel
und wenn der Reiter aufrecht sitzt, geht das Pferd leicht und mit sich aufwölbendem Rücken rückwärts statt mit hohem Kopf.
Der Vertrauensring: Den Halsring nutze ich oft, damit die Reiter sehen, dass die Pferde auf ihrer Seite sind, denn wir haben keine „Macht“ damit und die Pferde wissen es. Dennoch folgen sie unseren Anweisungen, selbst auf einem grasbewachsenen Reitplatz. Früher ließ ich meine Reitanfänger so beginnen, ohne Sattel mit Halsring. So haben sie gelernt, dass es wenig braucht, um sich verständlich zu machen und um ein Pferd zu führen, und dass sie Vertrauen haben dürfen in die Mitarbeit unserer Pferde. Das Pferd, am Halsring ohne Kopfstück findet eine gute Selbsthaltung. Es kann sich besser umschauen und wird so oft schon mutiger. Der Kopf ist komplett frei und so wirkt sich nichts auf die empfindsamsten Stellen für Takt und Gleichgewichtsstörungen aus. Mit dem Halsring durch Labyrinth, so lernen Pferd und Reiter ihren Körper optimaler einsetzen, ganz spielerisch.
Vertrauen zueinander finden - das Pferd ist auf deiner Seite!
Foto: A. Recktenwald Der Halsring liegt nicht an. Er wird angelegt zum Biegen oder wir tippen damit an, wenn wir ein Signal geben, dann ist er wieder weg vom Pferdehals. Er wird am Hals mittig eingesetzt oder, wenn wir noch mehr auf Biegung einwirken wollen, noch weiter vorn. Zur Sicherheit kann man den Halsring kombiniert mit einem Kopfstück reiten, sein wahrer Wert ist allerdings erst sichtbar, wenn der Kopf völlig frei ist. Selbst das Halfter macht da oft noch mal einen Unterschied. Der Reiter lernt, flexibler zu werden. Da der Halsring einen unterschiedlichen Einsatz fordert, an verschiedenen Stellen des Halses und auch mal seitlicher, lernt der Reiter seinen Körper zu nutzen, sich zu drehen und zu verlängern, ohne die Balance zu verlieren. Die Hände werden frei und können so weicher und situationsangemessener reagieren statt starr auf einer Stelle zu bleiben.
Die „Vorwärtsidee“ kommt in die Hände und in den Körper. Viele Reiter sind überrascht, wie schwer es ihnen fällt, „nachzugeben“, also mit den Händen mal nach vorne zu gehen, oder auch mit dem Oberkörper. Im Bemühen fein und achtsam zu reiten, werden die Hände fixiert und „still“ gehalten.
Das erlaubt dem Pferd keine freie Bewegung. Mit dem Halsring lernt man, zum Pferdemaul „hin“ denken. Und ein Pferd, das nicht mehr von einer starren Hand fixiert wird, muss sich auch nicht mehr freikämpfen. So werden auch hier viel vermeintliche Durchgänger zu wundervoll kontrollierbaren Galoppern, einfach nur durch den Wechsel des Kommunikationsinstrumentes. Ein Einsatz des Halsrings im Gelände ohne Kopfstück empfiehlt sich aus sicherheitstechnischen Gründen nicht, da eine echte „Kontrolle“ in Schrecksituationen damit nicht möglich ist. In der Bahn hingegen lässt sich damit alles reiten. Von Reiter- spielen bis Parcours ist es eine Freude für Mensch und Pferd. ■