Auch Reitanfänger können Schulpferde glücklicher machen

"Von meiner pferdebegeisterten Tochter angesteckt, begann ich vor einem Jahr zu reiten. Im April übernahmen wir ein Schulpferd als Pflegepferd. Jay, ein 14jähriger Warmblutwallach mit freundlichem Wesen, ließ sich nicht trensen, stand weder beim Satteln noch beim Aufsteigen still, stieg schon mal in der Box und drückte mich an die Wand. „Er braucht ab und zu einen Klaps auf den Hals und muss wissen, wo es lang geht.“ Der „Klaps“ klang mir nach heftigem Schlag, auch mal von Gebrüll begleitet.
Im Hauptberuf arbeite ich als Beraterin und Coach, von mir lernen Manager, mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern respektvoll und wertschätzend umzugehen, ihre Ängste zu achten und Veränderung mit den vorhandenen Ressourcen zu bewirken. Die eigene positive und motivierende Haltung spielt dabei eine große Rolle. Ich sah nicht ein, dass das, was mir bei Menschen richtig erschien, bei Pferden falsch sein sollte. Als Diplombiologin war ich skeptisch gegenüber einfachen Dominanz-Unterwerfungs-Modellen und suchte nach Alternativen zum Reitschulverhalten. Zufällig war der nächste freie Kurs, der in meinen Kalender passte, ein TTouch® -Wochenende bei Anke Recktenwald.
Anke nahm mich Anfängerin freundlich auf – ich lernte viel und übte danach täglich an Jay: Ohren- und Schweifarbeit, bis er sich entspannte, spöttischen Bemerkungen zum Trotz: „Na, macht Ihr wieder Schweifpendeln?“. Oktopus, damit er besser stehen blieb. Abstreichen – mit vielen Fragen von Kindern an meine Tochter: „Was macht deine Mama da? Sie kann aber doch gar nicht reiten!“. Ihr war’s nicht peinlich, wuchs doch auch ihr Vertrauen zum Pferd. Nur das Trensen ging noch nicht und im zweiten Kurs, Centered Riding, bei Anke merkte ich, warum: Rechte und linke Hand arbeiteten nicht zusammen, ich fand mit dem Gebissstück die Lücke zwischen den Zähnen nicht. Anke ließ mich an ihrer Hand, dem simulierten Pferdemaul, üben, wieder und wieder. Nie wieder gab’s seitdem beim Trensen Schwierigkeiten.
Ich habe Gelassenheit entwickelt im Umgang mit Pferden, gelernt, auf ihre Sprache zu hören, leider aber auch, ihre Schmerzen zu erkennen – und wie wenig Beachtung diese immer noch finden. Jay wurde im Herbst aus gesundheitlichen Gründen eingeschläfert. Wir konnten uns nicht mal verabschieden.
Gerade waren wir eine Woche lang im Reiturlaub auf einer Anlage mit Gestüt und Reitschule, mit höchsten Auszeichnungen dekoriert. Ich wollte besser sitzen lernen und sehen, was „richtige“ Profis so machen. Das hieß Sitzlonge täglich. Ich hatte Ankes Stimme im Ohr „Schneemann bauen... Balancepunkte finden... fließender Atem... weiche Augen...“. Leichttraben ohne Hände an der Longe, kein Problem. Aussitzen hieß nach wie vor, ungebremst in den Pferderücken zu knallen und mich krampfhaft festklemmen. Dee, die wunderbare Stute, die mir in dieser Woche zur Verfügung gestellt wurde, verzieh mir viel.
Auch sie ist eine TTouch-Erfolgsgeschichte: Dee hatte Sattel- und Gurtzwang, stampfte und schnappte, sobald das Pad ihrem Rücken nahe kam. Sie war wohl kurz zuvor osteopathisch überprüft worden, der Sattel passte, Diagnose „psychisch“. Zum Glück hatte ich die Tellington "Bibel“ dabei, machte Ohrenarbeit, Liegender- und Wolkenleopard-TTouches an Kopf und Hals (Muschel mochte sie gar nicht), dann beim Absatteln Zickzack, später Lecken der Kuhzunge. Rückenheber traute ich mich nicht anzuwenden, ließ mich von meiner Intuition leiten. Fing ganze 60 min vor dem Reiten an mit Vorzubereitungen und TTouches. Am Montag war sie noch bissig, Dienstag gab’s Tellington und wurde besser, Mittwoch war sie in der Putzbox am Stampfen, da drosch ihr eine Reitlehrerin den Mistgabelstiel gegen die Schulter. "Bei mir traut sie sich das nicht, du bist zu nett!" Donnerstag dann wieder TTouches, Kopf senken und ein Leckerli. Nach dem Reiten Schweif und Oktopus, Freitag - kein Schnappen mehr! Satteln war ihr sichtlich unangenehm, aber ich merkte, sie vertraut mir und löst sich unter den TTouches. Samstag wieder problemlos Satteln, nach dem Reiten schmiegte Dee mir die Nase an die Hüfte mit geschlossenen Augen. Nachmittags musste ich mich verabschieden, und sie, die immer nur seitlich zur Boxentür stand, kam mir entgegen und legte mir den Hals auf die Schulter. Mein Mann, sonst eher pragmatisch, sprach davon, zwischen dem Pferd und mir eine „Aura“ zu spüren.
Wie geht es weiter? Mit neuen Kursen natürlich! Gerade als Reitanfängerin mute ich den Pferden eine Menge zu, da ist es meine Pflicht, etwas wieder gut zu machen an meinen vierbeinigen Lehrern. Als Mutter wünsche ich mir, dass Jugendliche von Anfang an lernen, sich Pferden achtsam und gelassen zu widmen. Ich selbst gewinne Verständnis und Vertrauen – und Selbstbewusstsein, denn auch ein Reitanfänger kann ein Pferdemensch werden."

 

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