Angst kennen wir alle - Was passiert, wenn wir Angst haben?

Ein Artikel aus dem Tellington Newsletter den ich mit Fotos und Tellington Tipps ergänzt habe:
Ein Interview mit Lily Merklin, Instruktorin der Tellington TTouch Methode und Psychologin in der Schweiz
Bei Angst reagiert der Körper, indem er das Lebewesen auf eine Kampf- oder Fluchtreaktion vorbereitet.
Was passiert im Körper, wenn wir Angst haben?
Das bedeutet im Einzelnen, dass sich die Aufmerksamkeit erhöht, die Pupillen weiten, unsere Sinne schärfer sind, Muskelspannung, Herzfrequenz und Blutdruck steigen,
die Atmung flacher und schneller wird. Die Tätigkeit des Verdauungssystems wird währenddessen gehemmt. Und zum Teil treten nach außen wahrnehmbare Reaktionen
wie Schwitzen, Zittern oder Schwindel auf. Interessanter Weise unterscheidet der Körper dabei nicht zwischen echter Bedrohung und eingebildeter. Entscheidend für das Ausmaß unserer Angst ist also alleine unsere Einschätzung der Situation, nicht deren objektive Gefährlichkeit. Kurzfristig macht uns Angst reaktionsbereiter. Wir können besser fliehen und/oder kämpfen. Auf Dauer macht sie uns aber krank.
Erstens ist es schlicht und ergreifend anstrengend. Du musst dir das vorstellen wie einen Motor, der permanent auf Hochtouren läuft. Das kann zu Bluthochdruck, Probleme mit dem Verdauungstrakt, Schlafstörungen und chronischen Schmerzen führen – um nur einige Folgen zu nennen.
Was passiert bei Angst in unserem Gehirn?
Spannenderweise scheinen hier das Erkennen von Gefah- ren und die körperliche Reaktion getrennt verarbeitet zu werden. Mit Hilfe des Hippocampus (Vgl. Wikipedia: Als Hippocampus bezeichnet man eine im Temporallappen gelegene Struktur des Gehirns. Sie gehört zu den evolutio- när ältesten Teilen des Gehirns).Mit Hilfe des Hippocampus nehmenwir wahr, vor was wir uns fürchten. Die Amygdala (spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren. Sie verarbeitet externe Impulse und leitet die vegetativen Reaktionen dazu ein. Eine Zerstörung beider Amygdalae führt zum Verlust von Furcht- und Aggressionsempfinden und so zum Zusammenbruch der mitunter lebenswichtigen Warn- und Abwehrreaktionen) hingegen ist zuständig für die körperliche Angstreaktion. Beide sind Teil des limbischen Systems und damit ganz generell an der Regulierung von Emotionen beteiligt.
Im Bezug auf Angstauslöser erweist sich die Amygdala als äußerst lernfähig. Sie verknüpft Ereignisse mit Emotionen und speichert diese ab. Bei wiederholter Darbietung sinkt die Auslöseschwelle. Reize werden schneller als gefährlich eingestuft, es kommt zu einer Generalisierung. Physiologisch ist die Amygdala übererregt. Das bedeutet, dass Situationen, die irgendwelchen Ereignissen ähneln, die mit einer Gefahr, Schmerzen oder Leid verbunden waren, starke somatische Reaktionen auslösen. Dabei ist es vollkommen egal, ob sie (bewusst) erinnert werden oder objektiv vergleichbar sind.
Wie erkenne ich Symptome der Angst bzw. auf was kann ich als Lehrer achten?
Während Tiere sehr schnell merken, dass jemand Angst hat, fehlt uns Menschen hier der siebte Sinn. Wenn unsere Schüler vor Angst zittern oder schwitzen ist es im Grunde schon zu spät. Meideverhalten ist ein guter Indikator. Wenn jemand etwas nicht machen will oder „es plötzlich nicht mehr klappt“. Subtiler sind Veränderungen der Atmung, im Sprechrhythmus, dem Klang der Stimme, der Körperhaltung und dem Gesichtsausdruck. Reiter fangen an zu klammern oder sich an den Zügeln festzuhalten, Hundebesitzer ziehen an der Leine oder nesteln an ihrem Hund rum, reden „beruhigend“ auf ihn ein oder streichen ihm nervös über das Fell. Ein besonders ergiebiger Indikator ist die Partie um den Mund: Zähne zusammenbeißen, auf den Lippen herumkauen oder den Nägeln können ebenfalls auf Angst hindeuten. Auf jeden Fall würde ich mich nie nur auf die Rückmeldung meines Schülers verlassen. Viele haben verlernt, ihre Angst zu spüren. Oder trauen sich nicht, sie zuzugeben.
Wo Unsichereit sich breit macht, einfach mal "an die Hand" nehmen (lassen) und die Führung abgeben. Das Labyrinth hilft ausserdem wieder in einen Zustand der Ruhe und Lernfähigkeit zu kommen. (Anke Recktenwald)
Das biologische Gefühl der Angst ist lebenswichtig, aber wenn die Angst in bestimmten Situationen uns überkommt, werden wir oft handlungsunfähig. Was können wir mental und physisch tun, um aus diesem Angst- Zustand herauszukommen?
Effektiver ist es, gar nicht erst in den Zustand der Angst hineinzukommen. Die Idee von Angst ist nämlich, dass wir reagieren um zu überleben. Wir werden also eher denk- als handlungsunfähig. Das ist beim berühmten Löwen, der vor uns steht, auch sinnvoll (Da müssen wir nur funktionieren, nicht denken.), passt aber leider zu den meisten „Gefahren“ der modernen Welt nur eingeschränkt.
"Der Tellington Heart Hug ist ein schneller Weg aus der Angst in die Ruhe, er führt direkt in die Herzkohärenz" Anke Recktenwald
Wenn wir jedoch merken, dass Angst im Anzug ist, helfen ganz klassisch atmen (vor allem ausatmen) und bewegen. Es gibt ganz neue spannende Forschungsergebnisse, die untermauern, was wir in der Tellington-Arbeit schon lange anwenden: Vom starr stehen bleiben, geht die Angst nicht weg. Aber Bewegung hilft, sie abzubauen. Alternativ können wir auch etwas tun und uns sehr konkret auf dieses Tun konzentrieren. Wenn wir merken, dass unser Schüler Angst hat, nehmen wir ihn am besten an die Hand (im direkten oder übertragenen Sinn) und sagen ihm ganz genau, was er tun soll. Bis er wieder selber denken und handeln kann.
PS: Wir können auch selber unser Lehrer sein und uns in einer Stresssituation genau sagen, was wir tun sollen. Aber bitte: Das gilt alles nur für Situationen, in denen Angst dysfunktional ist. Wenn ich in Gefahr bin, sollte ich lieber weglaufen als mich auf meinen ruhigen Atem zu konzentrieren!
Angstreaktionen können sich auch verselbständigen und den Menschen in seinem Verhalten bestimmen. Wie können wir mit unserem Tellington Handwerkzeug helfen, diesen Prozess aufzulösen?
Einen instinktiv ablaufenden Prozess aufzulösen, ist immer schwierig. Besser, gerade im Sinne der Traumaforschung, ist es deshalb, ihn vorher zu beeinflussen. Also erste Anzeichen erkennen, Überforderung vermeiden (Prinzip der kleinen Schritte) und Selbstwirksamkeit fördern (dem Menschen/ Tier Wahlmöglichkeiten lassen und ihn/es dazu befähigen, diese wahrzunehmen). Bei der Arbeit mit Plastik zum Beispiel machen wir etwas, das die Therapeuten Pendeln nennen. Wir wechseln zwischen einem sicheren Ort und dem angstauslösenden Gegenstand. Wir zeigen dem Tier also, dass es immer wieder an diesen sicheren Ort zurückkommt und dass es sich der „Gefahr“ nähern kann, ohne Angst haben zu müssen. Dabei ist stets darauf zu achten, dass die Erregung nicht zu sehr steigt. Das Nervensystem muss immer wieder Zeit haben „herunterzufahren“. Für Lindas Empfehlung, viele Pausen zu machen, gibt es also auch eine physiologische Erklärung.
Was auch immer hilft, wenn die Erregung zu hoch wird oder Angst ins Spiel kommt, sind Maul- Mundarbeit (Verbindung zum limbischen System), atmen und ein Bewusstmachen des Körpers – was damit beginnt, den eigenen Körper wahrzunehmen.
Körperbandagen sind eine wunderbare Möglichkeit für Pferd und Reiter wieder ins Körpergefühl und raus aus der Angstreaktion zu finden. (Anke Recktenwald)
Es heißt, Bewegung baut Stress und Angst ab. Können wir daraus eine Art „Angstabbau-Übung“ entwickeln?
Auf jeden Fall: Ein Tier, das Angst hat, sollte man nicht festhalten bzw. zum Ruhigstehen zwingen, sondern langsame, kontrollierte Bewegung zulassen. Das sehe ich übrigens als einen der Hauptverdienste von Lindas Arbeit, diese geniale Kombination aus Boden- und Körperarbeit.
Auch die Feldenkrais Methode hilft seinen Körper besser kennen und spüren zu lernen, und das führt aus der Angst in die Befähigung. (Anke Recktenwald)